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VR-Live-Streaming vom Wacken Open Air

Heavy Metal mit Rundumsicht

Seit 2016 wird in 360 Grad vom Festival Wacken Open Air berichtet, in 2019 zum dritten Mal als Livestream. Wir sahen in unserem Heft 12.2019 bei der VR-Produktion hinter die Kulissen.

Ein kleines Dorf wird weltberühmt: 1990 ging in Wacken zum ersten Mal das Heavy-Metal-Festival Wacken Open Air (WOA) über die Bühne, das knapp 20 Jahre später regelmäßig 85.000 Besucher nach Norddeutschland lockt. Schon in den ersten Jahren wurden von den Veranstaltern Amateuraufnahmen angefertigt. Zusammen mit der Entwicklung des Festivals professionalisierte sich auch die Videoproduktion und Berichterstattung aus Wacken. Zuerst wurde 1998 der Musiksender VIVA auf das Festival aufmerksam. Ein Jahr danach wurde der erste Dokumen- tarfilm über das WOA produziert: „Metalheads – the official documentary“. Mit „Welcome to Wacken – a Documentary Film in Virtual Reality“ wurde 2016 der Blickwinkel der Kameras zum ersten Mal voll aufgedreht. Realisiert wurde die als App konzipierte Dokumentation für Android, Apple, Samsung VR, Oculus und VIVE von der kanadischen Produktionsfirma Bangers Film.

Mit „Telekom MagentaMusic 360“ gingen 2017 die VR- Kameras in Wacken erstmals live. Für die Durchführung der Produktion wurde die TVN Group beauftragt, die schon 2015 für einen ersten Testlauf in Sachen VR-Live verantwortlich waren. Damals konnten die Zuschauer den Red Hot Chili Peppers virtuell über die Schulter schauen. Zu dem Zeitpunkt waren die Usertools jedoch noch nicht ausgereift genug, um den Endverbraucher ein vernünftiges VR-Erlebnis zu bieten. Erst mit dem Erscheinen der Samsung Gear VR konnten die Zuschauer ab 2016 virtuell auf der Bühne neben ihrer Lieblingsband stehen.

Auf produktionstechnischer Seite hat sich seit dem Gig der Red Hot Chili Peppers nicht viel geändert. Auf den zwei Hauptbühnen des Metal Festivals wurden jeweils zwei Nokia-Ozo-Kameras aufgestellt. Eine weitere wurde auf einem Schienen-Dolly parallel zu den beiden Bühnen bewegt. Die Nokia Ozo hat sich seit der ersten Anwendung als robust und stabil erwiesen und ermöglicht aktuell als einziges standardisiertes System einen Livestream-Workflow. Leider schützt das Gehäuse die Kameras nicht gegen Überhitzung, so dass stets eine Backup-Kamera zur Hand sein muss. In dem kugelförmigen Gehäuse der Ozo sind acht miteinander synchronisierte Kameras untergebracht. Jedes Objektiv deckt dabei einen Blickwinkel von 195 Grad ab.

Seekrank durch VR

Die Positionen der Kameras müssen vor Beginn eines Konzertes genau bestimmt werden. Dabei müssen sie einerseits optimal ins Bühnenbild der jeweiligen Band integriert werden, anderseits dürfen sie aber auch nicht den normalen Videostream stören. Dennoch muss das Ziel sein, den Zuschauern einen spannenden Einblick auf das Bühnengeschehen zu geben. Am Anfang wurden die Kameras klassisch hinter oder neben der Bühne aufgestellt. Während man beim Konzert der Red Hot Chili Peppers noch eine VR-Kamera per Drahtseil über das Publikum fliegen ließ, hat man sich in Wacken dafür entschieden, die Kamera auf den vorhandenen Kamera-Dolly zu befestigen, denn viele User hatten von Übelkeit und Kopfschmerzen berichtet. Sie litten an „Virtual-Reality-Sickness“. Im Vergleich zur Spidercam bewegt sich der Dolly aber meist langsamer und nicht so häufig. Wenn die Kameras sich auf ihrem vorher bestimmten Platz befinden, gewöhnen sich auch die Musiker an die „komischen runden Bälle“ und fangen langsam an, selbstbewusst mit den Kameras zu interagieren.

Die Live-Regie der VR-Produktion

Glasfaser nach Bayern

Die Kameras sind durchgehend mit Glasfaser verkabelt. Deshalb muss man Umbauarbeiten sehr vorsichtig sein. Das Kabel mündet in einer „Glasbox“, die das eingehende Signal in ein Steuer- und ein Videosignal splittet. Darüber hinaus werden die Kameras über dieses Kabel auch mit dem nötigen Strom versorgt. Die Signale der VR-Kameras werden in einem der Ü-Wagen verarbeitet, die hinter den zwei großen Hauptbühnen stehen. Dieser Übertragungswagen wurde von TVN speziell für den VR-Workflow kon- zipiert und ist seit 2015 im Einsatz. Schlüsselfertige Produkte sind für diese spezielle Anwendung in den nächsten Jahren nicht zu erwarten, da der Wagen je nach Einsatzort aus verschiedenen Komponenten zusammengebaut wird. Auf die Frage nach der verwendeten Hard- und Software werden die Techniker der TVN Group ziemlich vage. „Eine Mischung aus standardisierter Grundhardware wie zum Beispiel Blackmagic und ein bisschen selbstgebastelter Zauber“, heißt es. Man kann davon ausgehen, dass zum Stitchen der Kameras die von Nokia entwickelte Live Stitcher-Software verwendet wird.

Die Position und der Zeitpunkt der Einblendungen werden von der Regie im Zusammenspiel mit der Grafik bestimmt. Der Horizont über den Zuschauern oder dunkle Bühnenbereiche haben sich als besonders geeignet bewährt. Doch dadurch, dass der Endverbraucher selbst bestimmen kann, wohin er sein Augenmerk richten möchte, kann die Regie nicht garantieren, dass die Einblendungen von allen auch gesehen werden. Man kann nur versuchen, ein breites Sichtfeld mit den Grafiken abzudecken.
Der Stream wird über einen 10-GB-Glasfaseranschluss redundant ins MIT-Glasfasernetzwerk nach München geschickt. Hier wird das Signal encodiert und den Magenta- TV-Usern zur Verfügung gestellt. Abhängig von der Internetgeschwindigkeit des Empfängers skaliert die Encodierung in sieben Qualitätsstufen. Die Latenz im Vergleich zum normalen Live Streaming entsteht vor allem beim Encoding in München. Durch die Glasfaseranbindung spielt das höhere Datenvolumen keine große Rolle.

In Zukunft könnte die 5G-Technologie die Arbeit im VR- Live-Sektor erleichtern, denn gerade die Glasfaserkabel, die bisher verlegt werden müssen, sind ein schwaches Glied in der Produktionskette. Technisch könnte, wie im klassischen Filmbereich, auch noch die Lichtfeldtechnologie in ferner Zukunft eine Rolle spielen. Doch am Ende bleibt die Frage, wie viele Nutzer bereit sind, ein Event per VR-Brille zu verfolgen. Laut Angaben der Telekom schwanken die Zahlen zwischen 150.000 und einer Million. Auch wenn die Nachfrage an Endgeräten steigt, wird VR-Livestreaming langfristig wohl ein Nischenprodukt bleiben. [11036]

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