Künstliche Intelligenz könnte bald noch viel stärker die Arbeit der Kameraleute erleichtern. So sieht man es zumindest beim Kölner Startup-Unternehmen Robidia, das Verfahren für autonome Kameraführung entwickelt hat. Aktuell arbeiten die Kölner unter anderem mit den Canon PTZ-Kameras CR-N500 und CR-N300. „Unser System hat die Einstellungen beziehungsweise das Protokoll der Kamera implementiert, so dass unsere KI die Kontrolle über die Kamera hat“, sagt Firmengründer Masih Jakubi. „Man wählt nur einen Bildausschnitt und fertig, wenn ich hier sitze und mich bewege, geht die Kamera exakt mit.“
Die bisherigen Systeme seien bei anderen Kameras teilweise sehr kryptisch und, wenn überhaupt, nur mit vertieften und spezialisierten Kenntnissen bedienen. Die serverbasierten Lösungen ermöglichten kein stabiles Tracking, Hardwareproduzenten seien eben keine Softwareentwickler.
Die von Robidia programmierte PTZ-Kamera kann auf einem Stativ oder an Decken montiert zum Einsatz gebracht werden. Laut Jakubi zeichnet sie sich durch eine hohe Präzision aus: „Wir haben die neuronalen Netze aus Mediensicht antrainiert, weil wir aus den Medien kommen, weil wir wissen, wie man diese Sachen antrainieren muss. Leute aus der Computervision oder Elektronik kennen die besonderen Anforderungen der Medienbranche nicht“, betont der Firmengründer, der Medientechnologie studiert und sich über acht Jahre lang mit Grundlagenforschung, Systemtheorie sowie digitaler Bild- und Tonverarbeitung beschäftigt hat. Erfahrung in der Praxis sammelte er beim Aufbau des ersten internationalen afghanischen TV-Senders und mit der Produktion von Imagefilmen für Unternehmen wie Leica und Dax-Unternehmen wie Daimler oder Bayer.
Spartechnologie für Arbeitsplätze?
„Das größte Problem an großen Sets ist die Kommunikation, alle sprechen über ein Intercom miteinander und alle sind total gestresst“, beschreibt der Entwickler eine der Beobachtungen, die Anlass für ihn war, über Verbesserungen nachzudenken. „Man kann zwar alles planen, aber die Berechnung menschlicher Fehler ist nicht möglich.“ Und die können nach seiner Einschätzung schnell vorkommen, denn der Mensch hat eine begrenzte Aufnahmefähigkeit und Konzentrationsvermögen: „Wenn ich eine halbe Stunde konzentriert auf etwas schaue, dann treten Ermüdungserscheinungen auf, das Gehirn kann beispielsweise dem Bewegungsablauf einer Person dann irgendwann nicht mehr folgen“, erinnert sich Jakubi an eigene Erfahrungen.
2019 gründete er sein Unternehmen, zuerst noch mit dem Ziel, einen komplett freifahrenden Kamera-Roboter zu konstruieren, basierend auf einem elektrischen Rollstuhl, der die Autonomiestufe fünf erreichte. Erprobt wurde die Lösung am Stand von Nachrichtensender n-tv auf der Berliner Technologie- und Industriemesse IFA im Jahr 2019. Dort wurde über den Roboter mit dem Roboter berichtet. Problematisch war die Zulassung dieser Geräte, was zur Entwicklung einer weiteren Variante führte: ein Schienensystem, auf dem sich auch PTZ-Kameras bewegen lassen.
Die Daseinsberechtigung seines Systems sieht der Geschäftsführer in der allgemeinen Entwicklung: Die meisten TV-Sender sehen sich unter großem Kostendruck und wollen sparen, auch bei den Kameraplätzen. Automatisierung erscheint vielen als Lösung. Dabei gibt es schon Anwendungen, die zum Einsatz kommen, bei Kosten von mehreren 100.000 Euro. Programmierungen können nur für eine bestimmte Szene vorgenommen werden.
Dass Kameraleute durch Robidia arbeitslos werden könnten, weist der Firmeninhaber von sich: „Wir bieten nur eine Ergänzung. Der Job eines Kameramanns in den Studios hat oft nichts mehr mit Kreativität zu tun, sondern ist eher eine monotone Arbeit, die nicht in unserer Natur liegt.“ Er betont außerdem die Zeitersparnis in der Disposition: „Wir entlasten letztlich die Produktionshäuser und die Kameraleute, die wieder mehr Bildgestalter sein können.“
Jakubi geht davon aus, dass er mit seiner Innovation Kameraleute und Bildregie vor Überlastung schützt, etwa bei Live-Sport- Veranstaltungen: „Dort sind die Kameraleute vor allem auf die Technik fokussiert, weniger auf die Inhalte. Die Regisseure müssen alles zeitgleich beurteilen: Stimmen die Bilder und Geschwindigkeiten, aber wenn der Kamerawinkel in einem bestimmten Moment nicht optimal steht, dauert es, um das zu korrigieren.“
Die Branche umkrempeln
Ansonsten könnten über das Schienensystem „schöne und innovative Bilder“ erzeugt werden – bei Laufwettbewerben zum Beispiel mit der entsprechenden Anpassung der Slider an die Geschwindigkeit des Wettbewerbs, wodurch eine besondere Nähe zum Geschehen hergestellt werde: „Sowohl Schärfe als auch Zoom sind automatisiert, unser System kann selbstständig entscheiden, wie es zoomen und wie es die Schärfe einstellen soll.“ Wenn beispielsweise ein Ball ins Sichtfeld geschossen wird, beginnt das System sofort mit seiner Arbeit und verfolgt das Objekt. Dass KI die Produktionen im Sportbereich enorm umkrempeln wird, da- rüber ist sich die Branche unabhängig von Robidia einig. „Wir haben nicht nur eine Robotik entwickelt, sondern eine holistische Plattform, auf der wir neben unserer eigenen Hardware fremde Hardware ebenfalls integrieren können“, so der Gründer weiter. „Mit der Entwicklung unserer eigenen Hardware konnten wir die Technologie viel besser verstehen und auch feststellen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um fremde Hardware zu verwenden.“ Als wichtigen nächsten Schritt kündigt Jakubi die Entwicklung eines komplett frei fahrenden Kameraroboters an. Dies soll in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen am Institut für Strukturmechanik und Leichtbau geschehen, unter der Leitung von Institutsleiter Kai-Uwe Schröder, der das System von Robidia bereits für seine Vorlesungen einsetzt. „Er wird außer der Künstliche Intelligenz auch in Konstruktion und Funktionalität viele Neuheiten bieten“, kündigt Jakubi an. [15255]