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Individualisierung von ARRI Signature Primes für „Tár“

Masterclass im Objektivtuning

Für „Tár“ hatten Regisseur Todd Field und DoP Florian Hoffmeister nach ersten Tests einen Look im Sinn, der auf einem Vintage-ZEISS-Objektiv beruhte. Um diesen Look mit modernen Optiken praktisch umsetzbar zu machen, arbeiteten die beiden eng mit Christoph Hoffsten von ARRI Rental zusammen, um die ARRI Signature Primes über das Hinterlinsensystem entsprechend zu tunen.

Werkbank bei ARRI Rental in Berlin

Regisseur Todd Field hatte sich für „Tár“, sein aktuelles und bereits hochdekoriertes Filmprojekt nach 16 Jahren Abwesenheit von der Leinwand, dazu entschlossen, den Film in Berlin zu drehen und mit einer deutschen Crew zu arbeiten. Als er auf der Suche nach einem DoP die erste Staffel der AMC-Serie „The Terror“ sah, war er beeindruckt von der „außergewöhnlichen Fähigkeit von Kameramann Florian Hoffmeister, ein Gesicht unter den unterschiedlichsten Be- dingungen überzeugend auszuleuchten, obwohl er in einer Kulisse drehte. Florian musste das Gespür für die wechseln- den Tageszeiten über und unter Deck des Schiffes vermitteln und hat dies sehr glaubwürdig geschafft. Das ist eine hohe Kunst, die man nicht unterschätzen darf.“ Hoffmeister, der als Filmhochschulabsolvent von Fields Spielfilmdebüt „In the Bedroom“ begeistert war, erhielt vom Regisseur eine E-Mail mit einer ersten Anfrage, mit ihm an „Tár“ zu arbeiten. Es folgten ein Anruf und das Drehbuch. Das war genug, um Hoffmeister zu überzeugen. Neun Wo- chen später begann die Vorproduktionsphase.

Während Todd Field im Juni 2021 in New York Plates drehte, nutzte er die Gelegenheit, verschiedene Kameras und Ob- jektive zu testen. Leider schaffte es Hoffmeister nicht rechtzeitig zum Dreh. „Das war schade, weil ich diese ersten Arbeitsschritte immer gerne selbst mache“, so der DoP. „Todd arrangierte eine Grading-Session, und ich wählte mich remote ein. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht richtig mit der Zusammenarbeit begonnen. Ich wollte mich nicht sofort einmischen, sondern erst einmal abwarten, was ich sehe. Und dann war da diese eine Szene, bei der ich dachte: Genau das ist es! Eine Nahaufnahme. Ich sagte, dass die Aufnahme unter allen für mich absolut heraussticht. Todd ging es genauso.“

„Ich erinnere mich sehr gut daran“, ergänzt Todd Field. „Wir haben bestimmt drei Stunden lang verschiedene Blenden, Beleuchtungssituationen und alle möglichen unterschiedlichen Objektive und Formate gesichtet. Und dann eine Aufnahme, bei der auch ich dachte: ,Das ist es.‘ Das war etwas Besonderes, das uns beiden sofort ins Auge stach, und das konnte nicht ignoriert werden.“

Vintage weist den Weg

Die Aufnahme war mit einem alten ZEISS-Objektiv entstanden. „Es war offensichtlich“, erklärt Hoffmeister, „dass wir mit exakt diesem Objektiv nicht drehen konnten, da es zu speziell war und es kein komplettes Set davon gab. Aber wir hatten diese positive Resonanz auf das Bild und es gab uns eine Richtung vor. Mir macht das Testen sehr viel Spaß – ich glaube, das ist eine meiner Hauptaufgaben während der Vorbereitung. Dabei geht es nicht unbedingt darum, etwas zu testen, weil man es noch nie zuvor gemacht hat, sondern darum, einen kreativen Raum zu schaffen, in dem man sich entfalten und mit dem Regisseur kommunizieren kann.“

Weitere Tests waren erforderlich, und Hoffmeister machte sich auf den Weg zu ARRI Rental in Berlin, um Objektiv- und Kameraoptionen zu vergleichen. „Es gab einige Objektive anderer Hersteller, die mir sehr gut gefallen haben und zu denen Todd sagte: ‚Oh ja, sie sind wunderschön, aber sie sind zu schön, sie schreien förmlich Movie mit großem M!‘ Zusammen mit meiner Erinnerung an die Aufnahme, die uns zuvor beide überzeugt hatte, war Todds Aussage ein weiterer Mosaikstein und gab mir Vertrauen in das, was mit vorschwebte. Ich traf mich mit Christoph Hoffsten von ARRI Rental und besprach mit ihm meine Ideen.“

Regisseur Todd Field (mit Kappe) und Christoph Hoffsten von ARRI Rental beim Tuning der Signature Primes
Regisseur Todd Field (mit Kappe) und Christoph Hoffsten von ARRI Rental beim Tuning der Signature Primes (Foto: Hannes Jung)

Signature Primes als Basis

Christoph Hoffsten ist Leiter der Kameraabteilung bei ARRI Rental Berlin und zudem Senior Objektivdesigner innerhalb des globalen Objektiventwicklungsteams von ARRI Rental. In dieser Eigenschaft arbeitet er regelmäßig mit DoPs zusammen, um Objektive für ihre Bedürfnisse abzustimmen und anzupassen, wie zum Beispiel mit Greig Fraser für „The Batman“ und Nik Summerer für „1899“. Hoffsten schlug vor, mehrere Looks durch die Anpassung von ARRI-Signature-Prime-Objektiven zu entwickeln.

„Von diesem Moment an drehte sich der Prozess im Wesentlichen um die Beziehung zu Christoph“, sagt Hoffmeister. „Ich hatte eine Demonstration der Signature Primes gesehen, und es fühlte sich so an, als wären sie für die digitale Filmkunst gemacht, mit einem sehr filmischen, schönen Look. Wir beschlossen, die Signature Primes als Basis zu verwenden und etwas zu entwickeln, das sie in Richtung des New Yorker ZEISS-Objektivs bringen würde.“

Die ARRI Signature Primes verfügen über einen magnetischen Filterhalter auf der Rückseite, der es ermöglicht, Filter, kundenspezifische Optiken, Stoffe, Drähte oder sonstige Materialien zwischen dem hinteren Linsenelement und dem Sensor zu positionieren und so das Bild zu verändern. Christoph Hoffsten schlug zur Anpassung an den gewünschten Look bildverändernde Optiken vor, die mit oder ohne maßgeschneiderte Beschichtungen verwendet werden konnten. Das erwies sich als ein Herantasten an den gewünschten Look. Zu Beginn stellte Hoffsten stark veränderte Signature Primes vor, die den Filmemachern jedoch vom Look zu extrem erschienen. „Todd sprach mit mir viel über visuelle Zurückhaltung“, erinnert sich Hoffmeister. „Oft ist man bei der Bildsprache eines Films versucht, das zugrunde liegende Thema zu forcieren. Aber er bestand darauf, dass wir uns zurückhalten und die Dinge sich entwickeln lassen sollten.“ Hoffsten und Hoffmeister experimentierten weiter und suchten nach einem subtilen Ansatz. „Wir fingen an, das Thema einzugrenzen“, erläutert der Kameramann. „Ich beziehe gerne Leute mit ein, die mehr wissen als ich, und Christoph weiß mehr über Objektive, als ich jemals wissen werde. Wir machten Testaufnahmen, sprachen darüber, was uns gefiel, gingen zurück an die Werkbank und machten weitere Tests. Es war ein intimer Prozess – ein kreatives Gespräch nicht nur über technische Dinge, sondern auch über unsere emotionale Reaktion darauf. Wenn man anfängt, diese Linsensysteme zu manipulieren, wird man sich sehr schnell der Anwesenheit von Glas und von optischen Aberrationen bewusst. Wir wollten Objektive schaffen, die filmisch, aber gleichzeitig auch sehr unaufdringlich sind. Wir wollten keinen makellosen Look, aber auch keinen Look, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht.“

Regisseur Tood Field erinnert sich an eine Situation, in der er mit Christoph Hoffsten, Florian Hoffmeister und Coloristin Traudl Nicholson im Vorführraum von ARRI saß. „Wir machten uns viele Notizen und hatten mehrere Versionen von dem, was Christoph geschaffen hatte sowie mehrere Kombinationen dieser verschiedenen optischen Elemente. Als Erstes versuchten wir, ihnen allen einen Namen zu geben, damit wir beim Drehen mit ihnen arbeiten konnten.“

LowRes und LowCon waren die Namen für die beiden Arten von speziell angefertigten optischen Hinterlinsen. LowRes zeigte eine leicht unterkorrigierte Bildfeldwölbung und Auflösung in den Ecken sowie ein nach innen ziehendes Bokeh, das die Bildtiefe aufhob. LowCon zeigte eine subtile, überkorrigierte sphärische Abweichung und einen sehr leichten Schleier, der den Kontrast in feinsten Details reduzierte. Die beiden kundenspezifischen Beschichtungen, die auf einige der optischen Elemente aufgetragen wurden, hießen Halo und Diet, die beide das Licht streuen, ohne die Auflösung zu beeinträchtigen. Alle Anpassungskombinationen behielten die Farbleistung der Signatures bei und waren in ihrer Wirkung so subtil, dass sie nur auf einer großen Leinwand wirklich wahrnehmbar waren.

Tauglich für die Praxis

Nachdem das Team sein Ziel erreicht hatte, stand es nun vor der Herausforderung, die Lösung für einen großen Spielfilmdreh zu optimieren. „Ein großer Teil dieser Arbeit wurde bei ARRI Rental von Hand gemacht. Das Team nahm individuelle Änderungen an einzelnen Optiken vor“, sagt Hoffmeister. „Aber natürlich mussten wir mehrere Sets haben, weil wir mit mehreren Kameras drehten. Das ist der interessante Teil, bei dem das handwerkliche Geschick von jemandem wie Christoph wirklich zum Tragen kommt. Wir haben etwas gemeinsam entwickelt, und dann hat er es auf andere Objektive übertragen, so dass wir 54 Tage lang mit mehreren Objektiven drehen konnten, ohne dass wir auf halbem Weg aufgeschmissen waren.“

Filmstill aus "Tár"
Momente des Scheins und des Seins: DoP Florian Hoffmeister ließ sich beim Einsatz der getunten Objektive von Kontext und Beleuchtungssituation leiten. (Foto: Focus Features)

Als es darum ging, wie die maßgefertigten Objektive am Set eingesetzt werden sollten, wollte Regisseur Todd Field vermeiden, einen offenkundig thematischen Ansatz zu wählen. „Es ist die alte Sache mit der Prämisse, einen Ansatz zu finden“, betont er. „Auf der ersten Ebene versucht man, sich selbst zu beeindrucken, und dann versucht man, das zu verbergen. Als Nächstes versucht man, andere Leute zu beeindrucken, und dann versucht man, dies zu verbergen, und auf der dritten Ebene hat man hoffentlich schon etwas erreicht. Als wir anfingen, sprachen wir über alles Mögliche, um Lydias Verfall visuell darzustellen. Eine Möglichkeit war, von 35 auf 16 mm zu wechseln – was ich als typisches Filmschulzeug bezeichne. Und dann macht man seine Tests und stellt fest, dass das einfach nur dumm und zu durchdacht ist. Aber es ist wichtig, diese Gespräche zu führen, denn sie regen zum Nachdenken an und wenn man ein Technikfreak ist, bringt es einen zum Experimentieren.“

Die Wahl zwischen den verschiedenen Optiken, die auf den Objektiven relativ einfach ausgetauscht werden konnten, hing hauptsächlich vom Standort und der Beleuchtung der jeweiligen Aufnahme ab. „Es kommt darauf an, wie das Glas auf das Licht reagiert“, erläutert Hoffmeister. „In Situationen, in denen ich sehr dunkel gedreht habe, brauchten wir manchmal etwas mehr Schärfe. Und in anderen Situationen, in denen die Figuren vor hellen Fenstern standen, war es vielleicht interessanter, ein stärkeres Flare oder ein Gefühl von Einstrahlung zu haben, um Intimität und Unmittelbarkeit zu erzeugen.“ Hoffmeister ließ sich bei der Beleuchtung von Lydia Tár oft von einer Unterscheidung zwischen Momenten des „Scheins“, in denen sie sich als öffentliche Person präsentierte, und Momenten des „Seins“, in denen sie allein war, leiten. „In den Momenten des Scheins wählte ich eine dramatischere und exponiertere Form der Beleuchtung“, sagt er. „In den Momenten des Seins leuchtete ich dann sehr subtil und zerbrechlich. Die Art und Weise, wie ich die Objektive einsetzte, folgte diesem Ansatz und verstärkte die Momente, in denen sie unter Beobachtung steht – genau wie die Momente, in denen sie allein ist und man ihre Unruhe oder Aufregung spüren kann.“

Für Field war die Entscheidung zwischen den Optiken für jede einzelne Aufnahme ziemlich einfach, da er und Hoffmeister nach dem Testprozess bereits sehr gut aufeinander abgestimmt waren. „Wir hatten schon eine Arbeitsbeziehung“, erzählt er. „Es ist eine gute Sache, gemeinsam im Rental zu testen und eine Sprache zu entwickeln, die beide verstehen. So konnten wir schnell Entscheidungen über kleine Anpassungen treffen, die hauptsächlich mit der Licht- stimmung zu tun hatten.“

Aus dem finalen Grading meldete sich Florian Hoffmeister bei Christoph Hoffsten, um ihm zu sagen, wie sehr sich die harte Arbeit gelohnt hatte.
„Es war ein mühsamer Prozess“, sagt er. „Das manuelle Tunen und Detunen ist viel Arbeit, und es bedeutete, dass unser 1st AC Alexis Kostudis seinen Fokus mit handkalibrierten Skalen programmieren musste, was eine echte Herausforderung ist. Es hat viele Stunden gedauert, bis wir das richtig hinbekommen haben, aber wir haben es geschafft, und es war jeden Tag am Set eine wahre Freude. Ich glaube, es gab keine einzige Aufnahme, bei der ich nicht an Christoph gedacht habe.“ [15310]

 

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