DoP Holger Jungnickel vergleicht die Formate S35 und Vollformat
Nuancenspiel
von Timo Landsiedel,
Vollformat wirkte eine Weile wie ein Trend, dem alle Hersteller verfallen müssten. Spätestens die ARRI ALEXA 35 hat jedoch gezeigt, dass an S35 noch kein Weg vorbeigeht. Aber was sind die jeweiligen Eigenschaften, was sind Vor- und was sind Nachteile? Während des Filmfests München zeigte DoP Holger Jungnickel an eigens erstelltem Material, wie die unterschiedlichen Formate funktionieren. Wir haben mit ihm über die Kategorien seines Vergleichs gesprochen und geben eine kleine Gebrauchsanleitung für das online verfügbare Videomaterial.
Selten gab es so viele technologische Mittel, um seine Vision auf die Leinwand zu bringen. Gleichzeitig gab es in der Filmgeschichte noch nie viele Alternativen zur Leinwand, die allesamt ihre ganz speziellen technischen Anforderungen haben. Um einen Austausch hierüber anzustoßen, lud CineMobil am 22. Juni während des Filmfest München zum fachlichen Austausch auf das Bavariagelände. Das Event sollte sich dem Vergleich der Formate Super 35 und Full Frame widmen. „Wir möchten durch diese Events den Raum für Entscheidungsprozesse schaffen und Dialoge fördern“, sagt Daniel Buchelt von CineMobil. Als Dozenten wählte man HFF-Absolvent und DoP Holger Jungnickel. „Seine Expertise über beide Formate, Experimentierfreudigkeit und Herangehensweise, soziale Kompetenz und seine Fähigkeit, Sachverhalte gezielt und verständlich zu vermitteln, sind nur wenige seiner Qualitäten“, so Buchelt. „Letztlich wollten wir aber auch wieder einen sehr guten DoP, der den örtlichen Bezug zum Veranstaltungsort hat.“
Auswahl der Kameras
Jungnickel schlug vor, eigenes Material für den Vortrag zu drehen, das auf dem Bavariagelände beim Ausstatter FTA an einem Drehtag entstand. Jungnickel wählte einen Nachtdreh, um das Licht kontrollieren und auch außerhalb des Motivs drehen zu können. Um auch vergleichbare Ergebnisse im Look des Sensors bezüglich Farben und Rauschverhalten zu haben, wählte Jungnickel drei Kameras desselben Herstellers. Zum Einsatz kamen so die ARRI ALEXA Mini, die ALEXA Mini LF sowie die ALEXA 35. Die ARRI Signature Primes waren die Objektive der Wahl, da sie bei allem Kameras zu sauberen, unverfälschten Ergebnissen führen würden. „Die sind ja dafür gebaut, um genau zwischen diesen beiden Welten zu wandeln“, sagt Holger Jungnickel. „Die Brennweiten sind so konzipiert, dass man entweder die Fullframe- oder die S35-Variante wählen könnte. Das passt immer sehr genau zusammen.“ Jungnickel wählte die Standard Rec.709 von ARRI und nahm dafür die Mini LF als Vorlage. Die ALEXA 35 wandelte er von LogC 4 in LogC 3 und machte einen Farbraum-Transform des Wide Gamut 3.
Das Team war klein. „Ich hatte zwei Assistenten, Johanna Kreuz und Tobias Müller, zwei Schauspieler, Daria Usneld und Tom von der Isar, meinen Oberbeleuchter Michi Beitz und noch ein bisschen Unterstützung in Licht und Ausstattung“, so der DoP. Am Tag wurde das Licht aufgebaut und die Kameras vorbereitet. Jungnickel konzipierte eine kurze, dialoglose Szene, die ihm Gelegenheit geben würde, die Einstellungsgrößen und die Sensoreigenschaften zu vergleichen. Jungnickel hatte fünf Kategorien, die er testen wollte: Die Crop-in-Performance, den Weitwinkel-Effekt, die Schärfentiefe, die ISO-Performance und die Raumwirkung. Eine Empfehlung oder Präferenz wollte Jungnickel nicht herausarbeiten. „Es gibt immer die ästhetische Seite“, so der DoP. „Die ist aber für jeden Film anders. Jeder Film braucht eine eigene Ästhetik, möchte mehr oder weniger Schärfentiefe haben, möchte mit Weitwinkel oder Tele arbeiten. Das kann ich hier nicht als richtig oder falsch darstellen.“ Aber es gibt technische Aspekte, die sich unterscheiden. Diese wollte Jungnickel im Material unterscheidbar und somit diskutierbar machen.
Den Großteil drehte Jungnickel mit parallelem Kameraaufbau. Das Setup erlaubte einen Mindestabstand von etwa 20 Zentimetern zwischen den Kameras. Allerdings war für den Weitwinkel-Porträt-Vergleich essenziell, dass die Kamera exakt am gleichen Punkt war. Hier drehte er dann nacheinander.
Der Weitwinkel-Vergleich sorgte laut Jungnickel vermutlich für die meiste Aufmerksamkeit. Um die Wirkung im Gesicht der Schauspielerin zu verdeutlichen, maskierte Jungnickel in der Postproduktion das Gesicht aus und blendete beide Gesichter ab Sekunde 33 abwechselnd ein und aus. „Da sieht man dann ganz schön, dass die Nase plötzlich länger wird, die Ohren weiter weg sind, das Kinn länger wird, die Wangenknochen weiter hervortreten“, so der DoP. Dieser Vergleich hilft sehr bei der Einordnung der Physik des Subjekts und der optischen Gesetze, die darauf bei der Abbildung einwirken. „Und da spielt auch die Meinung der Schauspielerin eine Rolle, ob sie so ,verzerrt‘ dargestellt werden möchte oder nicht.“
Schärfentiefe
Vollformat bedeutet eine geringere Schärfentiefe. Ob man das will oder gar mit Mitteln dagegen arbeitet, ist jedem selbst überlassen. Im Clip, den Jungnickel zur Bebilderung wählte, sieht man durch eine Scheibe die Schauspielerin Daria Unseld auf die Tür des FTA-Showrooms zugehen. Im Large-Format-Clip ist bei Sekunde 11 zum Beispiel sowohl die Reflexion der Scheibe deutlich unschärfer, als auch der Hintergrund mit der Struktur des Gebäudes hinter ihr. Jungnickel gab bei der Veranstaltung Hinweise, auf welche Bildbereiche die Zuschauenden achten sollen, um einen Vergleich anzustellen. Zudem erläuterte er noch mal die Vor- und Nachteile einer geringeren Schärfentiefe: „Gerade bei geringeren Budgets hat man hier die Vorteile, dass man Hintergründe nicht austauschen muss, wenn Unbeteiligte vorbeigehen, Kennzeichen oder Marken zu sehen sind.“ Allerdings muss man auch eine Crew haben, die mit einer geringeren Schärfentiefe umgehen kann. „Vor allem, wenn man dann später ein Crop-In machen möchte und an das Herz der Auflösung rangeht, muss es knackscharf sein“, so der DoP. Dafür sollte natürlich auch am Set ein entsprechender Monitor vorhanden sein. Ein Large-Format-Sensor sammelt zudem natürlich mehr Licht. Vollformat birgt so die Chance, die Blende zu schließen, um wiederum auf dieselbe Schärfentiefe zu kommen wie bei einem Super-35-Sensor.