ARRI erweitert kreativen Spielraum bei der Bildgestaltung
Sofort-Texturen
von Birgit Heidsiek,
Mit den vorinstallierten Texturen in der ALEXA 35 bietet ARRI Filmschaffenden ein Feature, mit dem sich wie bei der Auswahl eines bestimmten Filmmaterials ein spezifischer Look kreieren lässt. Zu den ersten Produktionen, die davon profitiert haben, gehören „Air: Der große Wurf“ von Ben Affleck und die TV-Serie „Ronja Räubertochter“ von Lisa James Larsson.
Bisher waren ALEXA-Kameras mit einer Standardtextur ausgestattet, die beispielsweise die Menge und den Charakter der Körnung im Bild sowie den Kontrast in Details bestimmt. Das neue Textures-Feature der ALEXA 35 bietet die Möglichkeit, diese Standardeinstellung zu umgehen und Texturen auszuwählen, die jeweils für spezielle Drehsituationen entwickelt worden sind. Zusätzlich zu dem farblichen Look, der Belichtung und Bildgestaltung ist es möglich, den Bildern damit eine eigene Note zu verleihen.
Die ALEXA 35 verfügt dank ihres Sensors über einen sehr hohen Dynamikumfang, also einen großen Belichtungsspielraum, der für eine große Flexibilität bei der Farbkorrektur sorgt. Die vorinstallierten Texturen werden hingegen bereits in der Kamera angewendet. „Der Look, den unsere Ingenieure über vierzehn Jahre für die ALEXA-Kameras definiert haben, ist jetzt veränderbar“, konstatiert Henning Rädlein, Vice President Product Marketing Camera System und Digital Workflow Support bei ARRI. „Die Idee dabei war, nicht bestimmte Filmemulsionen nachzubauen, sondern mit den Tools in der Kamera verschiedene Variationen anzubieten.“ Durch die Justierung von Parametern in der Kamera ist es beispielsweise möglich, das Rauschen zu reduzieren oder den Mikro-Kontrast für Hauttöne zu verbessern.
Einfluss auf die Bildverarbeitungskette
Hinter der Menge und dem Charakter der Körnung im Bild sowie der Stärke des Kontrasts als Hauptmerkmale der Texturen verbergen sich rund dreißig Parameter. Diese Einstellungen beeinflussen die Bildverarbeitungskette in der Kamera, teilweise noch bevor das ARRIRAW-Bild erstellt wird. Wenn bestimmte Änderungen an den Bildverarbeitungseinstellungen vorgenommen werden, hat das Einfluss auf andere Parameter. „Eine Textur zu erstellen, ist relativ komplex“, erklärt Carola Mayr, Image Science Engineer bei ARRI, „denn es erfordert, die entsprechenden Schritte zu kennen, die sich gegenseitig beeinflussen.“
Standardmäßig ist in der ALEXA 35 die Textur „K445 Default“ aktiv. Insgesamt sind acht ARRI-Texturen in der Kamera vorinstalliert, die in enger Zusammenarbeit mit Kameraleuten entwickelt worden sind und mit denen sich das Korn- und Kontrastverhalten des Bildes auf unterschiedliche Art und Weise verändern lässt. „Die beliebteste Textur ist ‚Nostalgic‘, die das Bild etwas weicher und körniger rendert, wodurch ein Vintage-Look erzeugt wird“, sagt Carola Mayr. Neben den beiden vorinstallierten Texturen „Nostalgic“ und „Soft Nostalgic“ bietet ARRI sechs weitere „Nostalgic“-Texturen zum Download auf der Website an. Dazu gehört „Shadow Nostalgic“ für dunklere Szenen bei Nacht. Die „Nostalgic“-Textur ist bereits für komplette Filme verwendet worden. „Bei einem Projekt, das mit einer sehr hohen Empfindlichkeit und natürlichem Licht gedreht worden ist, hat die ‚Nostalgic‘-Textur einen dokumentarischen Look erzeugt, dessen rauer Stil mit 16-mm-Film vergleichbar ist“, sagt Henning Rädlein.
HDR-fähiges Bild
Manche Texturen lassen die Bilder nicht nur rauer und körniger, sondern auch glatter erscheinen. „Shadow“ und „Deep Shadow“ sind für Bilder mit dunklem Bildinhalt oder mit geringer Belichtung entwickelt worden. Durch die Reduzierung der Sättigung im Korn lässt sich farbiges Rauschen aus unterbelichteten Bildbereichen herausnehmen. Die Kombination einer höheren Empfindlichkeitseinstellung in der Kamera mit der Shadow-Textur ermöglicht es, stärker in die Unterbelichtung zu gehen und dennoch ein HDR-fähiges Bild mit mehr Highlights und Tiefen zu generieren.
In die Entwicklung der Texturen wurden Kameraleute aus dem In- und Ausland eingebunden. „Eine Veränderung einer Einstellung, die bei dem ganzen Filmdreh eingeschaltet sein kann, muss in hellen und dunklen Szenen, in Close-ups und Totalen, in scharfen Passagen sowie bei einer Unschärfe wie eine Farbeinstellung funktionieren“, erläutert Henning Rädlein. „Wie ein Lookup Table, das nicht nur etwas kälter oder härter ist, sondern in sehr verschiedenen Lichtsituationen funktionieren soll, muss dies auch eine Textur.“
Weniger Rauschen, mehr Mikro-Kontraste
Besonders gut für Landschaftsaufnahmen eignet sich „F567 Clarity“, die das Bild detailreicher und schärfer als die „Default“-Standardtextur rendert. „High Clarity“ lässt sich bei einem Dreh mit scharfen Master Primes einschalten, um eine Hyperschärfe zu erzeugen. Durch den Einsatz der Texturen eröffnen sich zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten. Bei den Testdrehs mit Kostüm und Maske lässt sich neben den Farben auch die Textur festlegen. „Es sind viele Tests erforderlich, um genau den Bildeindruck zu erhalten, der erzielt werden soll“, betont Carola Mayr. Die Ergebnisse müssen im HDR-Modus auf einem ausreichend großen Display betrachtet werden, denn die Darstellung auf einem 7-Zoll-Onboard-Monitor reicht nicht aus, um eine professionelle Entscheidung treffen zu können.
Die Entwicklung einer ganzen Palette verschiedener Texturen resultiert aus dem Bestreben, den Look der digitalen Sensoren verändern zu können. „Im Kopierwerk gab es viel Variabilität, die in der Regel zu einer Verschlechterung führte, da Farbstiche eingefügt oder der Kontrast erhöht wurden“, sagt Henning Rädlein. Visuelle Effekte wie etwa die Bleichbadüberbrückung, die vorgenommen wurden, weil sich der Kontrast in der analogen Farbkorrektur nicht so stark steigern ließ, können hervorragend bei der digitalen Farbkorrektur realisiert werden. Die Beschäftigung mit den Parametern in der Kamera zielt darauf ab, das Rauschen zu reduzieren oder den Mikro-Kontrast für Hauttöne zu verbessern. „Wir haben nicht acht oder sechzehn verschiedene Variationen geplant“, unterstreicht Henning Rädlein. „Diese Texturen sind im Zuge der Forschung entstanden. Wenn sich Bildgestalter weitere Texturen wünschen, können wir diese entwickeln und veröffentlichen.“
Perfekter Look für jedes Bild
„P425 Cosmetic“ wird gerne für Werbeaufnahmen sowie für Gesichter und Porträts eingesetzt. „Diese Textur ist ähnlich wie ‚Default‘, aber etwas verzeihender auf Haut, denn sie reduziert den Kontrast bei kleinen Hautunebenheiten“, versichert Carola Mayr. „Es gibt Werbespots, die aufgrund ihrer zahlreichen Nahaufnahmen mit ‚Cosmetic‘ gedreht wurden. Obwohl ARRI-Signature-Objektive eine sehr kosmetische Hautwiedergabe haben, lässt sich damit noch mehr störende Struktur in den Nahaufnahmen von Gesichtern verhindern.“
Kameraleute, die sich mit den Texturen beschäftigen, können damit für jedes Motiv oder Bild den gewünschten Look finden. „Jeder Kreative kann völlig frei damit experimentieren“, unterstreicht Carola Mayr. „Das ist reine Geschmackssache wie bei der Auswahl von sphärischen oder anamorphotischen Objektiven.“
Aufschluss über die verschiedenen Eigenschaften der Texturen gibt eine Kennzeichnung, die jeweils aus einem Buchstaben und drei Ziffern besteht. Je weiter der erste Buchstabe im Alphabet von der Standardtextur „K445 Default“ entfernt ist, umso mehr unterscheiden sich die Art oder Struktur des Korns. Dies ist beispielsweise bei „P425 Cosmetic“ der Fall. Die erste Ziffer beschreibt die Anzahl des Korns. „Nostalgic“ verfügt mit „7“ über relativ viel Korn. Die zweite Ziffer gibt an, wie stark der Kontrast feiner Bildstrukturen ist. Bei „Cosmetic“ liegt der Wert unter dem von „K445 Default“. Die dritte Ziffer gibt den Kontrast grober Bildstrukturen an, also wie detailreich das Bild insgesamt wirkt. Den höchsten Wert besitzt „F578 High Clarity“ mit „8“, dank der das Bild schärfer als bei der Standardtextur erscheint. Um die Wirkung der verschiedenen Texturen kennenzulernen, bietet ARRI auf der Texturen-Website das Image Comparison Tool an, mit dem sich die Texturen anhand verschiedener Motive miteinander vergleichen lassen. Um die Effekte genauer unter die Lupe zu nehmen, ist es möglich, in die Bilder hereinzuzoomen.
Zusätzliche Texturen stehen zusammen mit einem Anleitungs-PDF zum Download auf der Website bereit. Sie werden als kleine Textur-Datei in die Kamera geladen. Bislang stehen die Texturen nur für die ALEXA 35 zur Verfügung. Für die Mini LF sind sie aufgrund der Bildverarbeitungskette nicht nutzbar. „Da dieses Feature ein großer Erfolg ist, werden wir es in Zukunft auch für unsere neuen Kameras anbieten”, resümiert Henning Rädlein[15484]