Anzeige
Anzeige
Kreisel als stabilisierende Instrumente

Kreiselstabiliserung – Physikalische Grundlagen

Wenn es darum geht, eine Kamera in ­einem beweglichen System stabil auszurich­ten, kommen Kreisel als stabilisierende Instrumente zum Einsatz.

Aufmacher

Ihre physikalischen Grundlagen erklären wir hier, die daraus folgende Funktionsweise des Kenyon-Kreisels in dem Artikel-Kreiselstabilisierung – Kenyon-Kreisel.

Kreisel als Helfer

Um die stabilisierenden Kräfte eines Krei­sels zu verstehen, muss man sich ein wenig mit seiner Physik beschä̈ftigen. Der Kreisel fü̈hrt eine Kreisbewegung (Rotation) aus, das heißt es gelten andere Gesetze, als bei der allgemein bekannten gleichförmigen Bewegung, wobei es auch eine Reihe von Entsprechungen gibt. Der Kreisel, im griechischem »Gyro«, ist ein starrer Körper, der um eine Achse rotiert. ­Ideal­erweise ist dieser Körper für technische Anwendungen symmetrisch aufgebaut, der Schwer­punkt liegt auf der Achse und die ­Masse ist symmetrisch zur Achse verteilt. (Es handelt sich also um einen Sonderfall eines rotierenden Körpers.) Der Kreisel wird durch eine von außen einwirkende Kraft in Schwung versetzt. In der Physik heißt der Schwung Drehimpuls und ist eine Erhaltungsgrö̈ße. Bezogen auf den Kreisel kann man sich den Drehimpuls als einen auf der Dreh­achse liegenden Vektor vorstellen, dessen Größe von der Rotationsgeschwin­dig­keit, von der Masse des Kreisels und vom Abstand der Masse zur Drehachse abhä̈ngt, der aber erhalten bleibt, wenn keine äußere Kraft auf den Kreisel einwirkt und man die Reibung vernachlä̈ssigt.

Die Wirkung der Massenver­teilung kann man als Phänomen beobachten und nachvollziehen, wenn man mit waage­recht ausgestreckten Armen auf einem Büro­stuhl sitzend in eine Rotation versetzt wird, die Arme an den Körper heranzieht und die Drehgeschwindigkeit dadurch erhöht und durch Ausstrecken der Arme auch wieder reduzieren kann. Eiskunstläufer nutzen diesen Effekt für ihre Pirouetten.

Bei einem achsensymmetrischen Kreisel wir­ken keine aus der Rotation entstehenden Kräft­e auf die Drehachse ein, deshalb nennt man sie freie Achse. Jedes um eine freie Achse rotierende Massenteilchen ist bestrebt, ent­sprechend der Trägheit in seiner senkrecht zur Achse stehenden Ebene zu verharren, wo­durch die Kreisel-Achse selber der Trägheit folgend ihre Richtung und Position im Raum zu wahren sucht und jeder Kraft, die eine Lage­veränderung erzwingen will, einen Widerstand entgegensetzt. Das Träg­heits­moment gibt die Größe des Widerstandes an, den der Kreisel einer Ä̈nderung seiner Rotationsachse entgegensetzt und ist abhä̈ngig von der Masse, der Mas­sen­verteilung und der Achslage. Der­ Dreh­­­impuls wiederrum ist abhä̈ngig vom Träg­­h­­eits­moment und der Winkel­geschwin­digkeit.

Grafik1
Gyroskop mit schwenkbar gelagertem Kreisel

Wirkt von außen eine Kraft auf die Dreh­achse eines Kreisels ein, dann reagiert der Kreisel mit einer Ausweichbewegung, die rechtwinklig in Drehrichtung verschoben zur Richtung der angreifenden Kraft liegt. Dieses Ausweichen bezeichnet man als Präzession. Wird ein sich drehendes Vorderrad aus einem Fahrrad einseitig an seiner horizontalliegenden Achse aufgehä̈ngt, dann wirkt auf die Anordnung die Gravitationskraft und versucht die Drehachse an der offenen Seite zum Erdmittelpunkt zu ziehen. Die Achse sinkt nun aber nicht aus der horizontalen um den Aufhä̈ngungs­punkt in eine vertikale Richtung, sondern die horizontale Achse beginnt sich um den Aufhä̈ngungspunkt in der horizontalen Ebene zu drehen, und zwar je nach Drehrichtung des ­Rades links- oder rechtsherum. Dieses Experiment kann man sich auch als Video bei Youtube (zu finden unter dem Stichwort: MIT Physics Demo – Bicycle Wheel Gyroscope) anschauen. Vereinfacht kann man die fü̈r einen reibungsverlustfrei rotierenden symmetrischen Kreisel geltenden Gesetzmä̈ßigkeiten folgendermaßen beschreiben:

1. Die Rotationsachse bleibt im Raum stabil, das heißt, die Richtung der Rotationsachse bleibt parallel zu sich selbst.

2. Auf Parallelverschiebungen und Drehbewegungen um die Rotationsachse reagiert der Kreisel wie ein ruhender Kö̈rper gleicher Masse.

3. Auf Krä̈fte, die die Rotationsachse in einem Punkt drehen wollen, reagiert der Kreisel mit senkrechtem Ausweichen.

Bei technischen Anwendungen wird der Kreisel in einer Achshalterung so gelagert, dass er möglichst verlustfrei rotieren kann. Die Achshalterung ist oft als kardanisches System ausgefü̈hrt und erlaubt das Ausrichten in verschiedenen Ebenen. Kreisel und Lagerung bezeichnet man als Kreiselinstrument oder Gyroskop.

Unerwünschte Kamerabewegungen

Ist eine Kamera in einem beweglichen System wie Auto, Boot oder Flugzeug montiert, dann wirken sowohl erwü̈nschte Lagever­ä̈nde­run­gen wie unerwü̈nschte Lageverä̈nderungen auf die Kamera. Die erwü̈nschten Verä̈nde­rungen sind die kontinuierlichen mö̈glichst gleichmä̈ßigen Verä̈nderungen der Kamera­achse im Raum, die in ihrer Gesamtheit den Eindruck einer Kamerafahrt oder Bewegung ergeben. Sie werden von den unerwü̈nschten Lagever­ä̈nde­rung­en ü̈berlagert. Letztere kann man in zwei Arten unterteilen:

1. Horiontale oder vertikale Verschiebungen der Kamera parallel zur Bildebene (Shift).

2. Drehen der Kamera um die Bildachse (Rol­len des Bildes, Kippen des Horizonts) oder Drehen der Kamera um einen Punkt auf der Bildachse (horizontales oder vertikales Verschwenken).

Die als Punkt 1 genannten Stö̈rungen treten bei­spiels­weise auf, wenn das Kamerafahrzeug ü̈ber einen Unebenheit fährt und als Ganzes angehoben wird. Die Auswirkungen solcher ­Lage­verä̈nderungen der Kamera sind im Bild nur an der Verschiebung der in der Raumtiefe gestaffelten Objekte zu sehen und unauffä̈lliger, je weiter die Objekte von der Kamera entfernt sind. Dreht man durch die Front­scheibe eines Autos und die Kamera wird in Relation zum Auto durch eine von außen wir­ken­de Kraft angehoben, wä̈hrend die Objektiv­­achse parallel bleibt, dann macht sich das im Bild nur stö̈rend bemerkbar, wenn beispielsweise der Fahrzeuganschnitt als extremer Bild­vordergrund zum entfernten Außenblick verschoben wird. Bei unendlich weit entfernten Objekten wä̈re bei solchen Lageverschie­bungen ü̈berhaupt kein Unterschied wahr­nehmbar.

Der Kreiselstabilisator ist bei Lage­­verä̈nderungen dieser Art unwirksam. (Vergleiche erstes Bild unten). Die unter Punkt zwei genannten Bewegungsstö̈rungen sind hingegen Lagever­ä̈nde­rung­en bei denen die Objektiv­achse um sich selbst oder einen auf ihr liegenden Punkt gedreht wird oder pendelt. Obwohl das Kamera­bajonett um nur 2 Millimeter seitlich verschoben wurde, ist die Wirkung bei den 42 ­Meter entfernten Fenstern enorm. (siehe zweites Bild unten). In der Unendlichkeit wä̈re die Verschiebung unendlich groß. Ungewollte Dreh-, Schwenk- oder Kipp-Bewegungen der Kamera kö̈nnen optimal mit Kreisel­stabilisatoren unterdrü̈ckt werden.

Fenster_1
Beispiel 1: Senkrechtes Verschieben einer parallel ausgerichteten Kamera um den Hub von 15 cm. Im Vordergrund Blumenkasten, Fenster im Hintergrund 42 Meter enfernt. Sensor wie 35mm-Film, Brennweite 35 mm.
Fenster_2
Beispiel 2: seitliches Verschwenken des Kamerabjaonetts um 2mm. Drehpunkt ist das unter dem Bildfenster befindliche Kameragewinde; die Verschiebung entspricht etwa einem Winkel von 4 Grad. Fenster im Hintergrund 42 Meter entfernt. Sensor wie 35mm-Film, Brennweite 55 mm.

Zum Artikel Kreiselstabilisierung – Kenyon-Kreisel

Foto oben: HD-Kamera mit zwei Kreiselstabilisatoren und Inverter

© Hans Albrecht Lusznat

Anzeige

Kommentar zu diesem Artikel

Pingbacks

  1. Steadicam & Co: Kreiselstabilisierung – Anwendungen | KameramannKameramann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.