Wie hat ZEISS die Supreme Prime Radiance entwickelt?
Subtiler Charakter
von Uwe Agnes,
Objektive mit speziellem Look sind gefragt. Wir sprachen für den Schwerpunkt Objektive in unserem Heft 9.2020 mit ZEISS-Produktmanager Christophe Casenave darüber, wie das Unternehmen die Supreme-Prime-Radiance-Reihe entwickelte und worauf man dabei besonders achtete.
Was war für ZEISS der Grund, die Supreme Primes Radiance zu entwickeln?
Wir haben gesehen, dass sich sehr viele DoPs von Standard-Looks wegbewegen wollen und auf der Suche nach Mitteln sind, die es ihnen ermöglichen, etwas Besonderes in ihren Bildern zu kreieren, wie zum Beispiel Flares oder Ghosts. Es gibt viele Leute, die nach so etwas suchen, nicht etwa nur für Werbespots, sondern ganz allgemein. Dafür werden dann häufig Vintage-Objektive eingesetzt, also zum Teil uralte Optiken. Wir wissen zum Beispiel, dass unsere alten ZEISS Superspeeds immer noch sehr beliebt sind, weil sie nach dem heutigen Stand der Technik nicht so perfekt sind und solche Effekte ermöglichen.
Aber es ist eben auch so, dass Vintage-Objektive in jeder Hinsicht Vintage sind, nicht nur im Bild. Auch die Mechanik ist Vintage. Es kann also passieren, dass am Filmset eine Optik einfach kaputtgeht, weil sie so alt ist. Außerdem haben diese Sätze keine Konsistenz. Die eine Brennweite verhält sich so, die anderen verhalten sich anders und die Effekte, die ich dort bekomme, sind meistens Zufall. Mal funktioniert es, mal nicht.
Man kann sich auf Vintage also nicht verlassen und die Ergebnisse sind nicht reproduzierbar?
Genau, es ist ein Risiko. Das ist so ähnlich, wie einen Oldtimer zu fahren. Das ist zwar cool, erfordert aber eine gewisse Erfahrung. Wenn ich gerade mal mühsam meinen Führerschein gemacht habe und so eben die Gänge schalten und bremsen kann, bin ich vielleicht in einem Golf oder Polo mit ABS und ESP besser aufgehoben. Wenn ich dann die nötige Erfahrung gesammelt habe, kann ich auch problemlos einen Oldtimer fahren.
Genau so ist es auch bei den Vintage-Objektiven. Wenn man einen DoP hat, der mit einem erstklassigen Assistenten zusammenarbeitet und der schon mit etlichen Objektiven gedreht hat, schafft der es immer, mit einem Vintage-Objektiv umzugehen. Ein weniger erfahrener DoP mit durchschnittlichem Assistent ist da mit einem Objektiv mit besserer Ergonomie besser bedient, beispielsweise beim Fokussieren. Ein langer Fokussiergang, der reproduzierbar ist und nicht zusammenbricht, ist da viel angemessener. Wir haben mit den Supreme Prime Radiance versucht, genau so etwas zu produzieren: ein Objektiv, das über eine moderne Ergonomie verfügt und das es mir erlaubt, mit kontrollierten und kontrollierbaren Effekten Charakter zu schaffen. Das ist eine Win-win-Situation. Ich habe die Vorteile beider Welten.
Es gibt ja einige moderne Objektivsätze, bei denen für einen Vintage-Look Linsenelemente nicht vergütet werden.
Viele Hersteller lassen bei den Vintage-Sätzen das Coating weg, um diese Effekte zu bekommen. Das Problem beim Uncoating ist: Die Effekte sind so stark, dass sich eine solche Objektivreihe kaum für einen ganzen Film einsetzen lässt. Für einen Werbespot von 30 Sekunden, der voller Flares sein soll, kann ich so ein Uncoated-Objektiv verwenden. Aber ich werde keinen 90-minütigen Featurefilm damit drehen. Ich möchte vielleicht gelegentlich ein Flare einbauen, aber die meiste Zeit will ich schon, dass das Bild einigermaßen sauber ist.
Genau diesen Spagat haben wir bei ZEISS mit den Supreme Prime Radiance geschafft. Wenn ich normal leuchte, dann kann ich sie benutzen wie ein ganz normales, modernes, sauberes Objektiv und damit ein schönes Bild machen. Wenn ich aber Flares oder Kontrastminderung haben will, dann kann ich das auch machen. Ich muss nur dafür leuchten.
Sie haben also offenbar nicht einfach bei den Supreme Primes die Vergütung abgekratzt. Wie sind Sie denn genau bei der Entwicklung vorgegangen? Wir haben uns beim Entwurf der Supreme Prime Radiance zunächst überlegt: Welche Effekte möchten wir haben und wie können wir sie gezielt einbauen? Denn eines ist auch klar: ZEISS ist kein Vintage-Unternehmen, sondern steht für Perfektion und Technologie. Wir schauen nicht zurück, sondern nach vorn. „Vintage“ machen wir also nicht. Trotzdem wollen wir den Benutzern ermöglichen, Charakter und Look mit modernen Objektiven zu erzielen. Dabei ging es aber erst einmal nicht um die technische Machbarkeit, sondern wir haben uns zuallererst gefragt: Welcher Look gefällt den Leuten eigentlich? Denn selbst das ist nicht klar.
Wir konnten bei dem Thema auf Erfahrungen mit den Master Anamorphics zurückgreifen. Das waren die einzigen anamorphotischen Objektive, die technisch annähernd perfekt waren und fast kein Flare zeigten. Und weil sie so perfekt waren, kam der Wunsch aus der Branche: „Macht doch mal ein Flare-Set!“ Wir haben dann bei Front- und Rücklinse ein anderes Coating gewählt. Aber das hat niemandem gefallen! Das war nicht das, was sie wollten. Die andere Vergütung hat zwar das Bild schlechter gemacht, aber es war nicht das richtige Schlecht. [13267]