Kompakt für Broadcast: in diesem Segment hat Canon aktuell Stärke gezeigt. Für unser Heft 3/2019 hat Mark Zdunnek das neue Arbeitstier Canon XF705, das mit 1-Zoll-Sensor, 4K, 4:2:2-Farbsampling und HLG/PQ daherkommt, ausgiebig in der Praxis getestet. Zunächst ging es um Objektiv, Bildstabilisierung und das Handling. Nun kommen der Live-Betrieb und die Aufzeichnungscodecs unter die Lupe.
Canon hat bei der XF705 für Aufnahmen per Relay-Recording oder Simultan-Aufzeichnung zwei SD-Karten-Slots verbaut. Dies ist für mich ein wesentlicher Punkt, da wir bereits über sehr viele geeignete Aufzeichnungsmedien mit hoher Geschwindigkeit und Qualität verfügen und nicht wie bei anderen Kameras der gleichen Bauform auf proprietäre oder sehr teure eigene Speicherkarten angewiesen sind, wie die SXS Pro+ Karten bei der Sony PXW- Z280, die schnell ein Vielfaches der SD-Karten kosten. Die Aufnahmedauer mit 64 GB SDXC-Speicherkarte und Aufnahme in XF-HEVC bei 160 Mbit/s beträgt etwa 50 Minuten und bei 45 Mbit/s etwa 185 Minuten. Um die XF705 nicht nur für EB-Einsätze, Dokumentationen oder Reportagen, Veranstaltungen, Hochzeiten oder Vergleichbares nutzbar zu machen, sondern auch mit einigen Vorteilen aus der bildgestalterisch anspruchsvolleren Welt auszustatten, hat Canon wohl auch das Hybrid-Log-Gamma (HLG) beziehungsweise Perceptual Quantizer (PQ) als HDR-Funktionalitäten ergänzt. Damit ist gleichzeitig eine interne Aufzeichnung in HDR bei simultaner Ausgabe über SDI mit LUT als SDR möglich, welches in unseren Tests sofort verwendbare Ergebnisse für Live-Umgebungen bei gleichzeitiger voller Flexibilität in der Nachbearbeitung des Materials für weitere Verwertungszwecke führte.
LIVE
Auch wenn es ein weiteres angenehmes Extra aus dem cineastischen Bereich wäre: 4.096 × 2.160 im 17:9- Seitenverhältnis wird nicht unterstützt. Dafür liefert das mit einer 9-Lamellen-Iris ausgestattete Objektiv in Kombination mit dem 1- Typ/Zoll-Sensor ein ästhetisches Bokeh und lässt Gestaltungen wie bei Kameras mit größeren Sensoren. Dabei ermöglicht es eine geringere Schärfentiefe und bietet hier sicherlich einen kreativen Vorteil gegenüber der Z280 von Sony. Dem Dual DIGIC DV6-Prozessor gelingt im Verhältnis zu den Vorgängern natürlich ein deutlich verbessertes Rauschverhalten und eine höhere Empfindlichkeit. Es ist außerdem der gleiche Prozessor, der in der C200 verbaut ist, und bietet zusammen mit dem Sensor die Verwaltung eines Dynamikumfangs von 800 Prozent in Canon Log3 (Wide DR Gamma). Zusätzlich kann die Kamera mit weiteren Features für Live-Situationen punkten. Darunter zum Beispiel mit einem Netzwerk-Signalstream. Hier ist ein Livestream in HD und 4K in verschiedenen Formaten möglich: MPEG2-TS/H.264, HEVC/H.265 – in 4K bis 16 Mbit/s. Das Signal geht über HDMI 2.0 und SDI (12G – SMPTE ST 2082) raus, worüber eine unkomprimierte Ausgabe ermöglicht wird.
Die Tasten- und Steuerelemente der Kamera finden sich im Wesentlichen genau da, wo man sie erwartet, sind aufgeräumt, gut beschriftet und folgen der bekannten Positionierung und Nomenklatur des Canon-Camcorder-Universums. Anwender der Vorgängermodelle von Canon werden sich schnell zurechtfinden. Einen kleinen Wunsch unsererseits für künftige Versionen oder Nachfolgermodelle: Ein Record-Knopf vorne oben auf der linken Seite der Kamera wäre eine nützliche Ergänzung. Die Stromzufuhr erfolgt wie zum Beispiel bei EOS C200 und C300 MKII auch mit BP-A Akkus.
FUNKTIONEN
Neben den wesentlichen zuvor schon genannten Merkmalen ist die Canon XF705 aber auch eine Schatzkiste für wertvolle Details und Liebhaber-Funktionen. So bietet sie zum Beispiel einen echten Infrarot-Modus, mit dem sich Nachtdrehs in völliger Dunkelheit realisieren lassen. Diese Funktion ist in Camcordern diese Bauform und Produktionsklasse selten zu finden und wird insbesondere auch für dokumentarische Arbeiten oder Krisenberichterstattungen eine praktikable Lösung oder kreative Gestaltungsmöglichkeit bieten. Außerdem verfügt die Kamera natürlich über ein Funktionsset an WiFi-Optionen. Entscheidend dabei ist, dass sich ohne das Herausnehmen der Karten die Übertragung von Proxy-Files, eine FTP-Verbindung und eine rudimentäre Browser-Steuerung der Kamera ermöglichen lässt.
Unser Eindruck nach wenigen Wochen Tests mit dieser Kamera ist, dass das nach links und rechts ein- und ausfahrbare sowie jeweils rotierbare LC-Display bei leicht unsachgemäßer oder hektischer Verwendung potenziell gefährdet sein könnte.
Abschließend ein kleiner Blick auf die Situation rund um den HEVC-Codec, als wichtigem Herzstück der Kamera. HEVC/H.265 ist ein deutlich kompakterer Codec mit wesentlich besserem Algorithmus als H.264 und verbraucht entsprechend bei gleicher Bildqualität wesentlich weniger Speicher. Zeitgleich steigt seine Verbreitung. Aktuell wird der Codec bereits in Schnittsystemen von Edius und der Color-Grading-Umgebung DaVinci Resolve problemlos unterstützt. Auch andere Plattformen finden bereits Anschluss. Für die Adobe Creative Cloud, zum Beispiel in Premiere, sind derzeit Workarounds nötig.
FAZIT
Dieser kompakte 4K Halbschulter-Camcorder bietet alle wesentlichen Funktionen für professionelle Produktionen im Bereich TV (Berichterstattungen, Re- portagen, Dokumentationen), sowie bei Event- und Musik-Produktionen und für andere mobile und interaktive Formate oder Live-Übertragungen, sogar mit einer kamerainternen Lösung über LAN. Das Farbsubsampling von 4:2:2 mit einem hochauflösenden 1- Typ/Zoll-Oversampling-Sensor für ästhetisches Bokeh, HLG/PQ für HDR-Aufzeichnung, ein fortschrittlicher und im Praxistest überzeugender 5-Achsen optischer Bildstabilisator und wesentliche gut funktionierende Assistenz-Funktionen haben im Einsatz überzeugt. Die auf Redundanz ausgelegten Sicherheitsfunktionen in der Aufnahme auf kostengünstige Speichermedien, ein sehr frei beweglicher, heller und für Schärfenbeurteilung vor Ort akzeptabel nutzbarer 4-Zoll-LCD, ein leistungsfähiger 12G-SDI Output und ein scharfer – etwas kleiner – 0,46-Zoll-OLED-Viewfinder mit 1,77 Mio. Pixeln runden den positiven Gesamteindruck gelungen ab. [7909]